BERUF UND MUTTERSCHAFT – EINE REFLEKTION

Vereinbarkeit Beruf und Familie

Wir möchten regelmäßig Frauen vorstellen, die uns Ihre Erfahrungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf und Reflektionen zu den Grenzen und Möglichkeiten persönlicher und beruflicher Selbstverwirklichung schildern.

Die Literaturwissenschaftlerin Dr. Henrike Walter arbeitet als Lehrerin und Privatdozentin und hat drei Söhne (4,10 & 12).

„Ich würde mir einfach mehr Solidarität und Wertschätzung wünschen für Familien, die sich nicht auf einem „dann eben nicht“ ausruhen, sondern die tatsächlich das ganze Mobile in der Balance zu halten versuchen – engagierte Mütter und Väter, die ständig irgendwo Abstriche machen und Kompromisse eingehen und trotzdem tolle Arbeit leisten“.

Stichwort Vereinbarkeit von Familie und Beruf – nennen Sie spontan drei Adjektive, die dieses Verhältnis aus Ihrer Sicht bezeichnen!

Herausfordernd, anstrengend, utopisch.

Schildern Sie bitte Ihre derzeitige berufliche Situation sowie Ihren Werdegang.

Ich arbeite zur Zeit als Lehrerin an einem beruflichen Gymnasium mit einer halben Stelle, das sind 12 Wochenstunden. Da ich die Fächer Deutsch, Englisch und Philosophie ausschließlich in der Oberstufe unterrichte, sind Vor- und Nachbereitung zuweilen ziemlich aufwändig. Außerdem lehre ich jedes Jahr ein Trimester lang das Fach Literatur an einer Privathochschule und schreibe nebenbei Texte für einen Fachblog.

Studiert habe ich die Fächer Deutsch und Englisch; damals konnte man unter bestimmten Umständen in einem der Unterrichtsfächer promovieren. Nach der Promotion habe ich noch einige Jahre an der Uni gearbeitet, eine Forschungsstelle geleitet und auch dort gelehrt. Das Referendariat habe ich dann absolviert, als meine Söhne 2 und 4 Jahre alt waren.

In welcher familiären Konstellation leben Sie?

Ich bin seit fünfzehn Jahren verheiratet, wir haben drei Söhne im Alter von jetzt 12, 10 und fast 4 Jahren.

Haben Sie zugunsten Ihrer Familie zu irgendeinem Zeitpunkt auf eine berufliche Chance verzichtet, oder haben Sie das Gefühl, dass Ihnen manche Chance aufgrund dieser Situation möglicherweise gar nicht geboten wurde?

Als ich mich damals entschied, von der Uni weg und in den Schuldienst zu gehen, war das schon auch mit Enttäuschung verbunden und mit dem Gefühl des Scheiterns. Aber um im akademischen Feld zu bleiben, hätte ich alles anders organisieren müssen; die Kinder wären in eine Ganztagsbetreuung gekommen, ich hätte vermutlich pendeln müssen. Das wollte ich alles nicht, ich habe mir immer Kinder gewünscht und wollte auch Zeit für sie haben. Wenn man als junge Wissenschaftlerin vorankommen möchte, geht das nicht mit halber Stundenzahl, obwohl man oft nur für die bezahlt wird, aber man muss Netzwerken, Tagungen und Vorträge halten und besuchen, veröffentlichen und lehren und so weiter. Als mein Sohn drei Monate war, war ich auf einem großen internationalen Kolloquium eingeladen; da ist meine Mutter mitgekommen und hat mir den Kleinen alle drei Stunden zum Stillen hereingereicht. Die vielen alten Herren auf der Tagung fanden das nicht so gut, die jungen Frauen schon.

Worin liegen besondere Herausforderungen bei der Vereinbarung von Familie und beruflicher Verwirklichung?

Ich glaube, das Schwierigste ist, mit dem Gefühl zu leben, dass man keiner Seite je wirklich gerecht wird – am wenigsten natürlich sich selbst. Es sind unheimlich viele Ansprüche von allen Seiten, und ständig schafft man irgend etwas nicht. Das auszuhalten ist für Frauen, die ja meistens einen hohen Anspruch an sich haben, wahnsinnig hart. Interessant finde ich, dass wir dann immer dazu tendieren, uns selbst Vorwürfe zu machen und uns als Versagerin zu fühlen, statt zu schauen, ob die Ansprüche von außen vielleicht nicht auch irgendwie verfehlt sind, oder auch ob etwas an den Strukturen grundsätzlich falsch läuft.

Würden Sie im Rückblick auf Ihr berufliches Leben irgendetwas anders machen, soweit es Ihre Rolle als berufstätige Mutter betrifft?

Ich glaube tatsächlich nicht. Die Entscheidung für den Lehrerberuf war zwar ein bisschen aus der Not getroffen, aber ich sehe die Vorteile des Berufes, und er macht mir viel Spaß. Über die Lehraufträge und die Mitarbeit am Blog kann ich auch meine wissenschaftliche Leidenschaft noch ausleben, ohne ständig gestresst zu sein. Was mir fehlt, ist das Forschen und der Austausch mit der Fachwelt, aber damit kann ich leben. Ich bin aber sehr froh, die wissenschaftlichen Erfolge in der Zeit vor der Familiengründung gehabt zu haben; das gibt mir innerlich das Gefühl, nichts versäumt zu haben.

Das Durchschnittsalter akademisch gebildeter Erstgebärender liegt derzeit bei Mitte dreißig. Viele von ihnen nennen jedoch 28 als das ideale Alter für die Familiengründung. Überdies wünschen sich 35% der sehr gut ausgebildeten Frauen eine große Familie mit 3 oder mehr Kindern; verwirklichen können dies zur Zeit maximal 14%. In keiner anderen Bevölkerungsgruppe klaffen Wunsch und Wirklichkeit der Familienplanung so weit auseinander. Haben Sie eine Idee, wie damit umgegangen werden sollte?

Das finde ich schon ein großes Problem, denn wenn man erst mit Mitte 30 anfängt, ist das Zeitfenster für die Familienplanung ja schon sehr klein. Dann kommen Risiko- und Hochrisikoschwangerschaften, bei vielen klappt es nicht mehr so leicht, und man steckt eine durchwachte Nacht mit 40 nicht mehr so leicht weg wie mit 30. Ich fände es wichtig, dass man jungen Akademikerpaaren ermöglicht, auch große Familien zu gründen, denn natürlich geben die ihren Kindern auch vieles weiter, was ich gerade in der Schule oft vermisse – Leistungsbereitschaft, Neugier, Lust auf wissenschaftliches Arbeiten. Aber eine Lösung habe ich nicht.

Wie beurteilen Sie familienpolitische Maßnahmen wie die Einführung des Elterngeldes 2006, der sogenannten Vätermonate, den Kita-Rechtsanspruch und andere im Hinblick auf die Möglichkeiten für Frauen im Beruf?

Das hat schon viel verändert, vor allem in der Wahrnehmung der Rolle von Eltern. Aber tatsächlich bleiben diese Veränderungen meiner Erfahrung nach meist ziemlich theoretisch. Es sind wichtige Schritte hin zur Aufwertung der Bedeutung von Familie und Elternschaft, aber in der Praxis schließt unser Kindergarten immer noch um 13 Uhr, und mein Mann verdient das dreieinhalbfache von mir. Auf so viel Geld konnten wir nicht verzichten, als unser drittes Kind kam – Haus und Kinder müssen ja weiter finanziert werden – so war es nichts mit den Vätermonaten.

Was würden Sie sich wünschen oder für sinnvoll halten, um Frauen das berufliche Fortkommen zu erleichtern?

Ich erlebe immer wieder, mit welcher Selbstverständlichkeit von Frauen erwartet wird, dass sie alles unter einen Hut bekommen – Haushalt, Kinderbetreuung, Beruf und alle möglichen Extratermine. Wenn ich beim Weihnachtsbasteln andere Mütter treffe, die in Hosenanzug und Pumps angerannt kommen und dann entspannt Weihnachtslieder singen wollen, dann weiß ich genau, was sie vorher und nachher leisten und dass sie vermutlich während des Bastelns schon im Kopf die nächste Aufgabe lösen, Essen planen oder eine Präsentation oder wer weiß was. Wenn ich meinen Jüngsten zur Konferenz mitbringe, weil die – natürlich – am Nachmittag liegt, dann ist das zwar für meinen Vorgesetzten in Ordnung, aber für manche Kollegen nicht. Ich würde mir einfach mehr Solidarität und Wertschätzung wünschen für Familien, die sich nicht auf einem „dann eben nicht“ ausruhen, sondern die tatsächlich das ganze Mobile in der Balance zu halten versuchen – engagierte Mütter und Väter, die ständig irgendwo Abstriche machen und Kompromisse eingehen und trotzdem tolle Arbeit leisten. Vielleicht könnte man das mal als Gesellschaft mehr honorieren, indem es selbstverständlicher gesehen wird, dass ein Mensch – eine Frau – Familie hat, statt immer diese beiden Sphären so strikt zu trennen. Kinderbetreuung zu organisieren ist eine Sache, aber zu sagen, wir fördern Familiensinn, ist eine andere. Da ist noch sehr viel Luft nach oben, finde ich.