„…ich denke, andere – besonders nahe stehende Menschen – haben ein bestimmtes Bild von mir, was aber mit meinem inneren Zutrauen und Können nicht unbedingt gleich ist. Insofern hätte es jemand sein müssen, der mich noch nicht so gut kennt, aber auf eine gute, tiefere Weise kennen lernt“. Heike, 69
Ein Interview zur Berufung im 3. Lebensabschnitt
Wer nicht mehr arbeiten „muss“, sucht trotzdem oft nach einer sinnvollen, erfüllenden Tätigkeit. Eine reichhaltige Lebenserfahrung und zahlreiche Begabungen und Kompetenzen wollen weiter eingebracht werden. Es gibt Frauen, sie sich in dieser Lebensphase nochmals neu orientieren und Wege finden, um ihr Können zur Geltung zu bringen und dabei vielleicht noch Neues in sich entdecken.
Heike, 69, war in ihrem Berufsleben Grundschullehrerin. Nach der Pensionierung leitet sie eine Gruppe im Haus im Park (HiP), einer Einrichtung der Körberstiftung, die Lesungen organisiert und durchführt.
Liebe Heike, danke, dass du uns für ein Interview zur Verfügung stehst. Mich würde zunächst interessieren, wie hast du den Übergang vom Beruf in den „Ruhestand“ erlebt?
Der „Übergang“ war für mich eher eine Erleichterung, da mein Mann eine schwere Erkrankung hatte und meine Sorge und Angst größer wurde. Daher war ich froh, nicht auch noch Schulstress zu haben; das ist also ein sehr individuelles Empfinden gewesen. Erst nach dem Tod meines Mannes habe ich mich dann nach einer neuen Beschäftigung umgesehen.
Hättest du gern länger gearbeitet?
Ja.
Was mochtest du an deiner Arbeit vorher?
Die Arbeit mit jungen Menschen ist ständigem Wandel unterworfen, es ist kein Tag wie geplant; das geistige Wachstum bei Kindern zu beobachten, ist sehr beglückend, weil Kinder sich ja auch fast nie verstellen oder etwas vortäuschen. Diese Arbeit erfordert auch von einem selbst sehr
viel Flexibilität und Geduld. Aktion und Reaktion sind unmittelbar, nicht voraussehbar….
Was hat dir nach dem Übergang in den Ruhestand gefehlt?
Die spontanen sozialen Kontakte fehlten; während der Arbeit war immer jemand da, mit dem man auch Privates austauschen konnte; es gab eine Fülle an Gesprächsmöglichkeiten. Das hörte relativ abrupt auf; und selbst die Initiative zu ergreifen fiel mir am Anfang schwer. Man muss dann sehr gezielt tätig werden, um einen „Ersatz“ zu schaffen. Das ist nicht leicht!
Wie kamst du auf die Idee, noch einmal etwas „berufliches“ zu machen?
Die Einsamkeit nach dem Tod meines Mannes, die Stille, Bedeutungslosigkeit – ich
suchte nach einem neuen Sinn für mein Leben.
Hast du dich dazu vorher mit anderen Menschen beraten?
Nein.
Wenn nein, denkst du, es hätte dir geholfen?
Vielleicht, aber ich denke, andere – besonders nahe stehende Menschen – haben ein bestimmtes Bild von mir, was aber mit meinem inneren Zutrauen und Können nicht unbedingt gleich ist. Insofern hätte es jemand sein müssen, der mich noch nicht so gut kennt, aber auf eine gute, tiefere Weise kennen lernt.
In deiner neuen Tätigkeit, was genau machst du?
Ich arbeite als Projektentwicklerin und -leiterin im Kulturbereich. Ich organisiere thematische Lesungen mit Live-Musik. Dafür suche ich Texte aus, stelle sie zum Ablauf zusammen, suche Musik aus, organisiere Proben, bilde Mitarbeiter dazu aus, leite die künstlerische Arbeit, schreibe Flyer und Programm für die Veranstaltung.
Welche deiner Fähigkeiten kommen dabei zum Tragen?
Meine Phantasie! Das ist und war immer eine meiner großen Stärken; ich habe sehr viele Ideen für so ein Projekt, experimentiere auch gerne bis zum Schluss und kann glücklicherweise auch andere dafür begeistern, so dass eine sehr kreative Workshop-Atmosphäre entsteht.
Hast du je daran gedacht, noch weitere Ehrenämter zu bekleiden, oder noch etwas Neues anzufangen – abgesehen von Hobbys?
Nein; ich könnte mir aber eine indirekte Veränderung vorstellen: z.B., dass ich nicht mehr für das HiP (*Haus im Park) arbeite, sondern mit unseren Projekten in andere Altersresidenzen gehe.
Inwiefern würdest du sagen, deine Tätigkeit erfüllt dich?
Weil diese Tätigkeit sehr langfristige Planung erfordert – fast das ganze Jahr über. Ich muss viel lesen, um erst einmal einen Überblick zugewinnen, verwerfe dann auch viel, ändere dann thematisch meist noch was. Auch bei den älteren Menschen, mit denen ich arbeite, sieht man Veränderungen. Sie trauen sich mehr zu, sie gewinnen ein Gespür für Texte und Stimmungen und werden dadurch immer besser. Das macht mich froh.
Welche Form von Anerkennung wird dir für die Tätigkeit zuteil?
Ich bekomme sehr viel positives Feedback, sowohl von Teilnehmern als auch von Gästen unseren Veranstaltungen und von der Leitung des Hauses. Das stärkt. Im vergangenen Jahr wurde ich für meine Tätigkeit auf den Empfang des Bundespräsidenten für ehrenamtliche Leistungen eingeladen.
Für Frauen, die nach ihrer Berufstätigkeit gern noch einmal etwas neues, ganz anderes machen wollen – welchen Rat würdest du ihnen geben?
Zuallererst sich selbst finden: Was interessiert mich, wo wäre ich gerne dabei, wozu hätte ich Lust….mich haben nie diese typischen Frauentätigkeiten wie Stricken, Handarbeiten, Kochen, Rezepte austauschen etc. interessiert und ich glaube viele machen so etwas nur, um soziale Kontakte zu haben. Ist ja auch nicht schlecht, aber ich glaube, wenn du nicht für irgendetwas „brennst“, wirst du innerlich nicht glücklich, nicht zufrieden.
Vielen Dank für das Interview und alles Gute für deine weiteren Projekte. Es ist offensichtlich, wie sehr dich diese Arbeit erfüllt und im besten Sinn fordert.
Das Interview führte Birte Biebuyck.