„Du hättest doch was sagen können…!“
„Ich leite ein erfolgreiches Familienunternehmen“, strahlt die aparte Enddreißigerin uns aus der Werbung entgegen, während sie – akkurat geschminkt, hübsch und fleckenfrei gekleidet, im Arm ein Kleinkind, unter dem anderen einen Laptop, mit dem Fuß (in Pumps!) die Waschmaschinentür zuschubst und im Vorbeigehen einem Schulkind über die Schulter schaut, bevor sie dem am Rechner brütenden Ehemann einen Kuss auf die Denkerstirn haucht. „Mütter werden nicht krank, Mütter nehmen Aspirin“ und haben weiterhin Kindergeburtstage, Schwiegermutterbesuche und natürlich ihren Job im Kopf.
Das Bild, das wir heute von erfolgreichen Frauen haben, die alles zugleich managen – Familie, Beruf, Partnerschaft, Sozialleben und eigene Erscheinung – setzt Frauen unter einen enormen Erwartungsdruck. Statt sich auf ein Aufgabenfeld konzentrieren und nach dessen Erfüllung auch einmal gedanklich abschalten zu können, laufen die Gedankenspulen meistens parallel – während man mit dem Kinderarzt sitzt, werden nebenbei Emails gecheckt, auf der Fahrt zum Fußballtraining eingekauft, im Büro noch schnell die Vorsorgeuntersuchung für den Ehemann terminiert.
Psychische Belastung: Mental Load
Der „Mental Load“, also die psychische Belastung, die durch das Organisieren von Alltagsaufgaben entsteht, durch die alltägliche Verantwortung für Haushalt und Familie, die Beziehungspflege sowie das Auffangen persönlicher Bedürfnisse und Befindlichkeiten, ist in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich gewachsen. Da die unbezahlte Sorgearbeit nach wie vor – und unter Corona-Bedingungen vielleicht stärker denn je – höchst ungleich zu Lasten der Frauen verteilt ist, leiden diese sehr viel stärker unter der wachsenden Belastung in persönlichen Beziehungen und gesellschaftlichen Strukturen. Die gut gemeinten Versuche der familiären Entlastung – „Schreib mir doch eine Liste, was ich einkaufen soll“, „Sag doch, wenn ich den Müll rausbringen muss“ – offenbaren tatsächlich nichts anderes als den Umstand, dass Frauen die Verantwortung für das Funktionieren alltäglicher Prozesse obliegt. Sie müssen dann zwar nicht einkaufen gehen, sind aber trotzdem verantwortlich dafür, dass die Lieblingswurst auf dem Einkaufszettel steht (und vom Einkaufenden im Laden auch gefunden wird).
Vereinbarkeit von Familie und Beruf
Der Mangel an gedanklichen und emotionalen Ruhephasen führt zunehmend zu Erschöpfungssyndromen bei Frauen, die Familie und Beruf mit gleichermaßen hohem Anspruch nachkommen wollen. Darin liegt des Pudels Kern: Natürlich schiebt unsere Gesellschaft, schieben auch Ehemann und Kinder den Frauen gern diese Rolle zu, aber letztendlich werden Frauen hierin auch zum Opfer ihrer eigenen Ansprüche. Perfektionismus und Erfolgsanspruch verhindern wirkliches Delegieren oder auch mal gesundes Ignorieren von Herausforderungen, deren Bewältigung weder lebensnotwendig noch unverzichtbar ist. „Wenn ich mich mit meinem Ehemann darauf geeinigt habe, dass er die Wäsche macht, dann muss ich es auch aushalten, dass sie vielleicht mittags noch vor der Waschmaschine liegt“, sagt Steffi (37), die sich nach einem kompletten Zusammenbruch und einer gescheiterten Beziehung mit dem Thema der familiären Aufgabenverteilung intensiv beschäftigt hat. Ihren Zustand vor dem Zusammenbruch schildert sie als totale Erschöpfung: „Ich habe morgens die Kinder für den Kindergarten fertiggemacht, Frühstück, Brotdosen, Matschhosen, und alles oft unter Protest, weil sie lieber noch in Ruhe wach werden wollten, ich aber dringend ins Büro musste. Dann noch schnell die Küche aufgeräumt, damit ich nachmittags gleich anfangen kann zu kochen, wenn wir heimkommen. Wenn ich die Kinder dann abgeliefert hatte, bin ich manchmal kurz um die Ecke vom Kindergarten gegangen und dachte, hier leg ich mich jetzt mal einfach einen Moment hin, auf den Gehweg, völlig egal, und mach die Augen zu. Das war eine total verführerische Vorstellung.“ Stattdessen fuhr Steffi ins Büro, erledigte nebenbei Terminabsprachen (Kinderarzt, Musikschule), organisierte die Haustierversorgung für das freie Wochenende und telefonierte mit der kranken Schwiegermutter, die sich vernachlässigt fühlte. „Mein Mann hat das schon anerkannt und auch mal gesagt, super, dass du das organisiert hast, das hat mich dann immer gefreut. Und er hat auch Hilfe angeboten. Aber ich musste dann oft so genau erklären, wie was besorgt oder gemacht werden soll, da konnte ich es genauso gut selbst machen.“
Zwischen Perfektionismus und Toleranz
Irgendwann wurde Steffi krank, eigentlich nur ein Infekt, sagte sie sich selbst, aber es wurde so schlimm, dass sie in die Klinik musste. Danach hat sie beschlossen, musste es anders laufen. In der Klinik hat sie viele Gespräche geführt, über Perfektionismus und Toleranz, sich selbst und anderen gegenüber, denen man nicht nur Aufgaben, sondern auch Verantwortung übertragen kann.
„Ich habe mich mit meinem Mann hingesetzt, und wir haben Listen gemacht. Alles, was im Alltag anfällt, haben wir aufgeschrieben, über eine Woche hinweg. Immer, wenn was dazu kam, wurde es ergänzt. Dann haben wir gebündelt: Schule, Kinderbetreuung, Verwandte, Haushalt, Wäsche undsoweiter. Es gibt größere und kleinere Bereiche, das haben wir gewichtet, und natürlich gibt es welche, die mehr Spaß machen und solche, die keiner wirklich mag. Jetzt haben wir alles aufgeteilt, und wer verantwortlich ist, ist auch zuständig. Das heißt, der andere kann unterstützen, aber wir reden uns nicht gegenseitig rein.“
Steffi musste lernen, ganz bewusst wegzuschauen, wenn irgendwo Aufgaben waren, die nicht in ihren Bereich fielen, aber noch nicht erledigt waren. In der Klinik hat sie mit Yoga angefangen, und wenn sie jetzt zuhause ist und denkt, eigentlich könnte ich das auch schnell machen, holt sie ihre Yoga-Matte und konzentriert sich auf sich. „Das kann man lernen“, sagt sie, „und das Beste ist: Wenn ich an diesen Punkt komme, an dem mein schlechtes Gewissen mir sagt, das machst du jetzt nur für dich, tu doch lieber was für die Familie, dann kann ich mir jetzt sagen: ich mach das für die Familie. Die haben mehr von mir, wenn es mir gut geht, als von sauberen Socken.“
Der Aufwand, Listen zu erstellen und Verantwortlichkeiten festzulegen, erscheint groß. Aber entscheidend ist, dass der Gewinn an Zeit und Freiraum für alle Beteiligten diese Investition allemal rechtfertigt. Ein Nebeneffekt ist, dass die vermeintlich so nebenher geleistete Sorgearbeit tatsächlich einmal sichtbar gemacht wird und Wahrnehmung und Respekt für die Arbeit und den oder diejenige, die sie leistet, wachsen. Damit verbunden ist auch die Erkenntnis, dass manches eben einfach nicht möglich ist, also den Perfektionismus, vermeintlich das Erfolgsrezept schlechthin, zu verabschieden. Steffi stellt fest, dass sie viel zufriedener ist als vor der Umverteilung, obwohl sie vielleicht weniger leistet und damit eigentlich von ihrem Anspruch abgerückt ist: „Früher dachte ich immer, ich bin zufrieden, wenn ich alles unter einen Hut gekriegt habe. Dabei war manches aber so hingewurschtelt – keiner hat‘s gemerkt, es war eben immer noch ziemlich perfekt gewurschtelt, aber ohne Herzblut. Jetzt gebe ich mich viel mehr rein in das, was ich gerade mache, weil ich nicht immer schon gedanklich bei der nächsten Sache bin. Es erfüllt mich, und das ist ein tolles Gefühl – richtig tolle Zeit mit meinen Kindern gehabt zu haben, ein richtig gutes Ergebnis im Job, oder einfach auch mal richtig gut zu schlafen.“
Auch wenn die Gesellschaft den Frauen nach wie vor die Sorgearbeit zuschiebt – es ist ein Schritt Richtung Selbstbestimmung, auch in dieser Richtung Grenzen zu setzen.